Nicht nur bis zu sieben Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind von einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betroffen, sondern auch bis zu 4,5 Prozent der Erwachsenen. Die Auswirkungen von ADHS erstrecken sich über verschiedene Lebensbereiche, von Alltagssituationen über berufliche Tätigkeiten bis hin zum Privatleben. Die Störung kann das Selbstwertgefühl der Betroffenen beeinträchtigen, zu Einschränkungen im beruflichen und persönlichen Umfeld führen und sogar Vermeidungsverhalten sowie Probleme im Zusammenhang mit Suchterkrankungen auslösen.
Es ist essentiell, diese Störung als lebenslangen Begleiter zu verstehen und entsprechende Unterstützung anzubieten. Durch eine frühzeitige Diagnose und angepasste Therapieansätze können Menschen mit ADHS auch im Erwachsenenalter ein erfülltes Leben führen und ihre individuellen Potenziale entfalten.
„Zerstreut, vergesslich, flüchtig, wie ich war, blieb nichts bei mir haften, alles verflüchtigte sich.“
– Heinrich Hoffmann (Autor des Struwwelpeters)
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist oft mit der Kindheit assoziiert, die wenigsten wissen, dass diese neurologische Störung auch ins Erwachsenenalter überdauern kann.
Die Übergänge zwischen Normalität und Krankheit sind fließend. Erst wenn ein bestimmtes Maß überschritten wird, spricht man von einer Störung. Doch die Definition dieses „bestimmten Maßes“ ist eine komplexe Aufgabe und macht die klare Diagnose von ADHS zu einer echten Herausforderung.
Für viele Patientinnen und Patienten bleibt die Symptomatik einer ADHS-/ADS-Störung bis ins Erwachsenenalter bestehen. Allerdings manifestieren sich die Schwerpunkte der Störung in dieser Lebensphase oft auf andere Weise als in der Kindheit.
Es ist von entscheidender Bedeutung, diese Thematik zu verstehen, um angemessene Unterstützung und Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene zu gewährleisten.
Symptome im Erwachsenenalter: Während sich die Symptome von ADHS im Erwachsenenalter verändern können, bleiben die Kernelemente erhalten. Erwachsene mit ADHS können nach wie vor Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren, impulsiv reagieren oder Hyperaktivität zeigen. Aber auch das „Verzetteln“, die Unfähigkeit, Prioritäten zu setzen, depressive Stimmungs-Einbrüche mit Gefühlen von Minderwertigkeit, Aussichtslosigkeit und Resignation können Anzeichen einer ADHS im Erwachsenenalter sein.
Weitere Symptome finden sich auf www.adhs-ratgeber.com
Alltagsauswirkungen: Die Auswirkungen von ADHS im Erwachsenenalter können erheblich sein und verschiedene Lebensbereiche beeinflussen. Berufliche Herausforderungen, Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen, sowie Probleme mit der Selbstorganisation und Zeitmanagement sind häufige Schwierigkeiten, denen sich Betroffene gegenübergestellt sehen. Der Mangel an Aufmerksamkeit und Impulskontrolle kann nicht nur die berufliche Leistung, sondern auch das emotionale Wohlbefinden beeinträchtigen.
Ein ADS- oder ADHS-Syndrom erfordert eine Behandlung, wenn die Ausprägung der Symptome zu einer spürbaren Beeinträchtigung im Leistungs- und Sozialbereich führt. Ebenso ist eine Behandlung notwendig, wenn die Betroffenen unter den Symptomen leiden und das Risiko besteht, dass sich weitere psychische Störungen entwickeln oder bereits bestehende Probleme wie Suchtgefahr, Depressionen oder Aggressivität verstärkt werden können.
Diagnose und Behandlung: Die Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter kann aufgrund der Vielfalt der Symptome eine echte Herausforderung darstellen. Eine umfassende Anamnese, einschließlich der Kindheit, sowie Gespräche mit Familie und Freunden können zur Klärung beitragen. Dabei hilft ein Blick in alte Schulzeugnisse: Bei Personen mit Hyperaktivität lassen sich auffallend häufig Beurteilungen wie „hält sich nicht an Gesprächsregeln“, „stört den Unterricht“, „zeigt ein impulsives Verhalten“ oder „arbeitet oberflächlich und sprunghaft“ finden. Die Wissenschaft deutet daher darauf hin, dass eine systematische Auswertung von Grundschulzeugnissen in Bezug auf ICD-10/DSM-V Haupt- und Unterkriterien ein valides Zusatzinstrument in der Diagnose der ADHS sein könnte.
Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen oft eine Kombination aus Verhaltenstherapie, kognitiver Verhaltenstherapie und in einigen Fällen medikamentöser Unterstützung. Eine individuelle Herangehensweise, die die spezifischen Bedürfnisse des Betroffenen berücksichtigt, ist entscheidend.
Eine systematische Behandlung von ADHS führt nicht nur zu einer erheblichen Steigerung der Lebensqualität für die Betroffenen, sondern reduziert auch das Risiko für die Entwicklung von Alkohol-, Nikotin- oder Drogensucht im Vergleich zu unbehandelten Personen um die Hälfte. Zudem verringert sich das Risiko für das Auftreten psychiatrischer Begleiterkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Zwangsstörungen auf weniger als die Hälfte. Bei unbehandelten Kindern mit ADHS sind massive Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen feststellbar, während bei behandelten Kindern mit ADHS die Exekutivfunktionen nahe an denen von Nichtbetroffenen liegen.
Ursachen und Entstehung:
Die genauen Ursachen und Entstehungsmechanismen von ADHS sind bis heute – wie bei vielen anderen psychischen Störungen – noch nicht vollständig erforscht. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten auf einen Zusammenhang zwischen genetischen Faktoren und weiteren Einflussgrößen hin, darunter Strukturveränderungen in bestimmten Gehirnregionen, Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt sowie Umweltfaktoren. Es wird angenommen, dass das Zusammenspiel dieser Faktoren und Abweichungen in der Entwicklung neuronaler Regelkreise maßgeblich für die Entstehung der Symptomatik von ADHS sein kann.
Bewältigungsstrategien:
Es gibt verschiedene Bewältigungsstrategien, die Menschen im Erwachsenenalter mit ADHS Unterstützung bieten können:
- Strukturierte Zeitpläne
- die Nutzung von Reminder-Tools
- regelmäßige Pausen
- Identifikation von individuellen Stärken
können dazu beitragen, den Alltag besser zu organisieren. Eine offene Kommunikation mit Kollegen, Freunden und Familie ist ebenfalls wichtig, um Verständnis für die Herausforderungen zu schaffen und Unterstützung zu erhalten.
Ausblick:
Die Forschung und Aufklärung im Bereich ADHS im Erwachsenenalter haben in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, und doch bleibt die Thematik weiterhin dynamisch und vielschichtig. In Zukunft wird es entscheidend sein, das Bewusstsein für ADHS im Erwachsenenalter zu stärken, um eine frühzeitige Diagnose und angemessene Unterstützung zu fördern.
Einer der Schlüsselaspekte für die Zukunft wird die Weiterentwicklung von differenzierten Therapieansätzen sein, die den individuellen Bedürfnissen der erwachsenen Betroffenen gerecht werden. Hierbei spielt nicht nur die medikamentöse Behandlung eine Rolle, sondern auch psychotherapeutische Ansätze und unterstützende Maßnahmen zur Strukturierung des Alltags.
Darüber hinaus ist eine verstärkte Sensibilisierung in Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätzen und der Gesellschaft insgesamt wichtig, um Vorurteile abzubauen und ein unterstützendes Umfeld für Menschen mit ADHS zu schaffen. Die Integration von individuellen Ressourcen und die Förderung von Stärken werden dabei eine zentrale Rolle spielen.
Die Fortschritte in der neurologischen Forschung könnten zukünftig zu einer präziseren Diagnose und personalisierten Therapieansätzen führen, um die Lebensqualität der Betroffenen weiter zu verbessern. Gleichzeitig sollten kontinuierliche Bemühungen unternommen werden, die Ursachen von ADHS im Erwachsenenalter noch genauer zu verstehen, um präventive Maßnahmen zu entwickeln.
Insgesamt liegt die Herausforderung darin, ADHS im Erwachsenenalter als eine ernstzunehmende neurologische Störung anzuerkennen und Ressourcen zu mobilisieren, um das Leben der Betroffenen nachhaltig zu verbessern. Ein umfassender, multidisziplinärer Ansatz wird dabei entscheidend sein, um die vielschichtigen Facetten von ADHS im Erwachsenenalter erfolgreich zu bewältigen.